Bedingt durch das »...pädagogische Desaster...«[1] der frühen behavioristischen Lernmaschinen hat sich die Medienpädagogik dem Thema Computer als Lernmedium nur in einer sehr theoretischen, dem kommunikationswissenschaftlichem Paradigma verpflichteten Sichtweise, genähert. Dies hat zur Folge gehabt, daß eine Vielzahl von Ansätzen, Theorien und Modellen erarbeitet worden sind, die jedoch die durch neue Medien und neue Technologien geschaffenen pädagogischen Moglichkeiten bisweilen stark vernachlässigen oder gar ignorieren.[2]
Ein häufig verwendeter Begriff ist der der »Lernsoftware« bzw. des »Lernprogramms«. Lernsoftware soll hier als Software verstanden werden, die eigens für Lehr- und Lernzwecke programmiert worden ist und hauptsächlich im Bildungsbereich eingesetzt wird.[3] Diesen Anwendungen ist ein didaktisches Konzept mit konkreten Lerninhalten für eine mehr oder weniger definierte Zielgruppe eigen.[4] Hierunter fallen sowohl Programme für die Mitarbeiterweiterbildung eines Unternehmens wie auch Edutainment-Titel, also Programme, die auch als Spiel verstanden werden konnen.
Einen noch weiter greifenden Begriff schlagen Baumgartner und Payr mit dem der »Bildungssoftware« (engl. »educational software«) vor,[5] der jede Art von Software bezeichnet, die sich in irgendeiner Weise für Bildungszwecke verwenden läßt. Neben Lernsoftware kann auch eine Tabellenkalkulation unter diese Terminologie fallen, wenn sie z.B. zur Veranschaulichung eines bestimmten Sachverhalts genutzt wird.
In dieser Arbeit sollen vornehmlich die oben genannten Termini »Lernsoftware« und »Bildungssoftware« verwendet werden, da sie allgemeingültiger Natur und keinem bestimmten Lernparadigma verhaftet sind. Ganz im Gegensatz dazu stehen Begriffe wie Computer Aided Instruction (CAI), Computer Based Training (CBT), Computer Aided Learning (CAL), Computerunterstütztes Lernen (CuL), Computerunterstützte Instruktion (CUI), Courseware, Teachware usw. Daher wird im Verlauf dieser Arbeit auch nicht auf sie näher eingegangen, zumal die Übergänge zwischen den einzelnen Kategorien fließend sind.[6] Jede Software stellt spezifische Mindestanforderungen an die Hardware. Erst im Verbund mit ihr kann man sie qualitativ beurteilen. Von daher ist es sinnvoll, von Systemen zu sprechen wie dies schon bei Instruktionssystemen und Multimedia-Systemen der Fall ist.[7]
Dieser Begriff, der ursprünglich aus der Unterhaltungselektronik stammt, wird vor allem zur Bezeichnung einer bestimmten Technik, die von einer speziellen Hardwareentwicklung geprägt ist, verwendet.[8] Solche Systeme - wie z.B. die Bildplatte oder die CD-I (CD-Interactive) — ermoglichen das wahlfreie (und somit benutzergesteuerte) Abrufen von Videosequenzen. Die Interaktionsformen sind hier nicht besonders ausgeprägt, sie bestehen meist aus traditionellen multiple-choice Auswahlen, mit denen Videosequenzen aufgerufen werden. Eine wirkliche Interaktion mit dem Video, d.h. die Moglichkeit des Nutzers, in die gerade ablaufende Sequenz eingreifen zu konnen, ist bei den meisten Systemen bisher nicht gegeben.[9]
Hypertext und Hypermedia sind in den letzten Jahren zu einem vielbehandelten Thema geworden,[10] das mit der wachsenden Bedeutung des Internets und dessen auf der Hypertext Markup Language (HTML) basierendem World Wide Web (WWW) an Aktualität sogar noch gewonnen hat. Im Gegensatz zu den Hypertext-Systemen bieten Hypermedia zusätzlich die Integration von multimedialen Elementen[11] an.
Der Grundgedanke dieser Systeme ist der eines vernetzten Informationsangebotes,[12] das Informationen in Form von Knoten und Verknüpfungen zwischen Knoten repräsentiert. Diese Struktur ermoglicht es z.B. einem Leser, nichtlinear vorzugehen und flexibel seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen entsprechend eigene Pfade zu erschließen.[13]
Knoten sind die elementaren Einheiten der Informationsspeicherung. Sie enthalten Objekte wie Text, Grafik, Ton, Abbildungen usw., dabei kann der Umfang eines Knoteninhaltes durchaus variieren. Verknüpfungen (engl. »links«) stellen die Beziehungen zwischen den Informationen dar. Dabei gibt es eine Vielzahl von Moglichkeiten zur Strukturisierung und Darstellung der Informationen. Gänzlich unstrukturierten Hypertextbasen liegen lediglich referentielle Verknüpfungen zugrunde, während bei strengeren Organisationsformen auch semantische (hierarchische bzw. konzeptionelle) und pragmatische (z.B. argumentative oder kontextuelle) Prinzipien der Verknüpfungen zum Tragen kommen.[14]
Vor allem die Nichtlinearität der Hypertext- und Hypermedia-Systeme sowie die Benutzersteuerung machen sie für Lernsysteme interessant. Dieser Grundgedanke hat auch längst Einzug in die Lernsoftware gehalten und im wesentlichen sequentiell und starr ablaufende Umgebungen weitgehend er setzt.[15] Da in vielen Typen der Lern- und Bildungssoftware dieser Einfluß zu erkennen ist, konnen Hypertext und Hypermedia nicht als eigenständige Kategorien von Bildungssoftware angesehen werden.[16]
Multimedia ist ein Schlagwort, das großartige Hoffnungen geweckt hat, auch und vor allem in der Wirtschaft. In dem von seinem Bundesministerium herausgegebenen Report »Die Informationsgesellschaft« weist der Bundesminister für Wirtschaft auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der »Neuen Medien« hin, zu deren Schlüsselbegriffen zweifelsohne »Multimedia« zählt.[17]
Die Frage bleibt, was denn nun Multimedia ist und was es ausmacht. Es sind eine Vielzahl von Definitionen aufgestellt worden, die sich zum Teil recht deutlich unterscheiden; und daß »Multimedia« im Marketing schon eine geradezu inflationäre Verwendung findet, macht eine Spezifizierung nicht trivialer. Vor allem dürfte es sich auch hinsichtlich der rasanten technischen Entwicklung als äußerst problematisch erweisen, notwendige und hinreichende Merkmale zu bestimmen.[18]
Wenn heute von Multimedia die Rede ist, so ist in der Regel eine Technik der Medienverknüpfung gemeint, in dessen Zentrum der PC (engl. Personal Computer)[19] steht.[20] Diese (computergestützten) Multimedia-Systeme integrieren so verschiedene Medien wie Text, Pixelbilder, Grafik, Video, Ton etc. Allerdings ist es notwendig, zwischen zeitabhängigen (z.B. Animation) und zeitunabhängige (diskrete) Medien wie z.B. Text zu unterscheiden.[21] Ein definitorischer Ansatz liegt also in der Beschränkung auf die rein technischen Merkmale, so daß Multimedia durch die Kombination zeitabhängiger (kontinuierlicher) und zeitunabhängiger (diskreter) Medien definiert wird.[22]
Issing und Klimsa bezeichnen Multimedia als eine neue Art und Weise der Mediennutzung in Informations- und Lernprozessen. Diese relativ neue Technik impliziert eine neue Art der individuellen Mediennutzung, sowohl in bezug auf Informationsprozesse wie auf Lernprozesse.[23] Multimedia kann laut Issing und Klimsa auch »...ein Sammelbegriff für solche hybriden Medien, die auf der Übertragungstechnik, Displaytechnik, Mikroprozessortechnik und Speichertechnik basieren und dabei mehrere Darstellungsformen (Text, Video, Audio usw.) verfügbar machen...«,[24] sein.
Neben dem Medienaspekt — der Multimedialität — spielen noch Interaktivität, Multitasking (gemeint ist die gleichzeitige Ausführung mehrerer Prozesse) sowie Parallelität bezüglich der gleichzeitigen Präsentation mehrerer Medien eine wichtige Rolle.[25] Klimsa schlägt daher vor, Multimedia als ein Konzept zu sehen, das zwei Dimensionen integriert, eine technische und eine anwendungsbezogene.[26] Die technische Dimension ist geprägt durch Multimedialität sowie Multimodalität. Mit der Multimodalität ist hier allerdings nicht die psychologische Bedeutung der Informationsaufnahme über mehrere Sinneskanäle gemeint, sondern die Art und Weise der Medienintegration und -präsentation.[27] Die Dimension der Anwendung umfaßt dagegen Kategorien wie Datenbanksysteme, Kommunikationssysteme, Hypermediasysteme sowie spezifische Autorensysteme /-umgebungen und Multimediawerkzeuge.[28] Erst der Aspekt der Anwendungen ermoglicht es, eine kontextbezogene Analyse des Multimediabegriffs durchzuführen. Denn für die wenigsten Anwendungen ist eine beliebige Medienkombination sinnvoll bzw. als »Multi-Media« zu bezeichnen.[29]
Abb. 2.1: Multimedia als ein Konzept, das technische und anwendungsbezogene Dimensionen integriert. Quelle: Klimsa, Paul (1995): Multimedia aus psychologischer und didaktischer Sicht. In: Issing, Ludwig J. & Klimsa, Paul (Hg.), Information und Lernen mit Multimedia, S. 7-24. Psychologie Verlags Union, Weinheim. S. 8
Wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, ist der Begriff Multimedia ebenso weit verbreitet wie er auch unscharf und somit für den wissenschaftlichen Diskurs ungeeignet ist.[30] Interaktivität, Asynchronität, Multifunktionalität sind Termini, die sich ohne weiteres der Multimedialität zuordnen lassen, ebenso wie Multicodierung,[31] Adaptivität und Multimodalität.[32] Für die vorliegende Arbeit mag die oben aufgeführte Umschreibung hinreichend sein, einer wissenschaftlichen Betrachtung genügt sie indes nicht.
In der Sozialpsychologie steht dieser Terminus für ein wechselseitiges, aufeinander bezogenes Verhalten von zwei oder mehr Personen. Diese Definition ist jedoch im Kontext von Multimedia nicht anwendbar. Statt dessen läßt sich »Interaktivität« als abgeleiteter Begriff verstehen, der in bezug auf Computersysteme jene Eigenschaft von Software beschreibt, die Eingriffe in den Programmablauf seitens des Nutzers zulassen.[33] Der Nutzer ist nicht mehr bloßer Rezipient eines Mediums, sondern es ist ihm nun moglich, gestaltend in den Kommunikationsprozeß (wie auch in den Lernprozeß) einzugreifen. Diese Eigenschaft ist denn auch der zentrale Wesenszug der sogenannten »Neuen Medien«. Allerdings gibt es kein fundiertes Maß, anhand dessen der Grad der Interaktivität bestimmt werden konnte, obwohl Interaktivität eines der spezifischen Charakteristika und Gütemerkmale eines Lernprogramms ist. »Ein hohes Maß an Interaktivität ist dann gegeben, wenn der Informationsfluß durch eine große Zahl von Zyklen der in [... Abb. 2.2] dargestellten Form gekennzeichnet ist.«[34] Durch ein solches »zyklisches Feedback«[35] ist es überhaupt erst moglich, individualisierte Lernumgebungen zur Verfügung zu stellen, die sich an spezielle Lernbedürfnisse und Interessen anpassen.
Abb. 2.2: Interaktionszyklus. Quelle: Niegemann, Helmut N. (1995): Computergestützte Instruktion in Schule, Aus- und Weiterbildung: theoretische Grundlagen, empirische Befunde und Probleme der Entwicklung von Lehrprogrammen. Peter Lang Verlag, Framkfurt a. M.; Berlin; Bern; New York; Paris; Wien. S. 8.
Realisieren läßt sich Interaktivität durch Implementierung folgender Merkmale:[36]
All diese Charakteristika werfen die Problematik auf, daß eine Evaluation des Lernerfolges von Lernsoftware im klassischen Sinn nicht mehr moglich ist.[37] Die etablierten Evaluationsmodelle sind von den »alten Medien«, d.h. der passiven Wissensvermittlung, geprägt. Lernerfolg wird dementsprechend meist an Reproduktion und/oder Anwendung theoretischen Wissens
gemessen.[38]
»Denkende« Maschinen haben schon früh eine große Faszination auf die Menschheit ausgeübt. Als ein Beispiel aus der Renaissance sei der »schachspielende Türke« von Wolfgang Kempelen genannt, der sogar gegen Napoleon I. antreten durfte und auch gewinnen konnte. Zwar wurde die Maschine später als Fälschung entlarvt, bis dahin hatte sie aber die Menschen in ihren Bann gezogen.[39]
Die Frage der ersten »Lernmaschine« wurde Ende der fünfziger Jahre dieses 8Jahrhunderts in der amerikanischen Zeitschrift »Contemporary Psychology« heftig diskutiert. Schließlich einigte man sich auf die am 20. Februar 1866 patentierte Buchstabiermaschine von Halcyon Skinner.[40] Die eventuell erste Maschine, die von einem Psychologen ersonnen und zum Patent angemeldet wurde, war die Buchstabiermaschine von Herbert Aikins aus dem Jahre 1911. Es handelte sich allerdings um keinen Apparat sondern um eine Rahmenkonstruktion mit Bildern, auf deren Rückseite lediglich die richtigen Buchstaben zu dem Begriff eingesetzt werden konnten.